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Schenkung privater und sowjetischer Unterlagen an die Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße

Stadtgeschehen
  • Erstellt: 20.04.2024 / 09:01 Uhr von ant
Der heute 95-jährige Schauspieler Jochen Stern, übergibt der Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße eine umfangreiche Schenkung mit Dokumenten zu seiner politischen Verfolgung, Verhaftung und Verurteilung durch den sowjetischen Geheimdienst.

Er war als Teil der sogenannten „LO-Gruppe“ aus Frankfurt/Oder 1947/1948 im sowjetischen Geheimdienstgefängnis in der Potsdamer Lindenstraße inhaftiert. Die Schenkung umfasst Vernehmungsprotokolle, Anweisungen des sowjetischen Geheimdienstes (NKWD), die Zusammenfassung der Anklageschrift sowie das Urteil gegen die einzelnen Mitglieder der Gruppe. Daneben übergibt Jochen Stern der Stiftung Briefe aus der späteren Haft im Speziallager Bautzen. Sie sind an seine Eltern adressiert, die erst 1949 von seiner Verurteilung erfahren haben und über zwei Jahre nicht gewusst hatten, was mit ihrem Sohn geschehen war.

Jochen Stern, geboren am 10. September 1928 in Frankfurt/Oder, wurde 1947 zusammen mit mehr als 40 Personen als politische Gegner vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet. Dieser wirft ihnen vor, eine illegale Gruppe gebildet und gegen die Sowjetunion spioniert und agitiert zu haben. Fast ein Jahr lang verbringt der 19-jährige Neulehrer unter katastrophalen Bedingungen in Untersuchungshaft in Potsdam. Im September 1948 wird er zusammen mit 13 weiteren Angeklagten vor ein Sowjetisches Militärtribunal gestellt und – aufgrund von ihm durch Folter und Schläge erzwungener Aussagen - zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach sechs Jahren Haft im sowjetischen Speziallager Bautzen erfolgte 1954 seine Entlassung in die Bundesrepublik Deutschland, wo er als Schauspieler Karriere machte. Seit 2023 ist er Mitglied des Beirats der Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße.

Der Vorstand der Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße, Historikerin Maria Schultz, freut sich außerordentlich über die Schenkung: „Wir sind sehr froh, dass wir die biografischen Zeugnisse von Jochen Sterns Haft in Potsdam auch für künftige Zeiten am ehemaligen Haftort erhalten und in unserer Bildungs-, Forschungs- und Ausstellungstätigkeit einsetzen können. Sie stellen einen wichtigen Beitrag zur angemessenen Erinnerung an die Opfer stalinistischer Gewaltherrschaft und Verfolgung in der Sowjetischen Besatzungszone dar. Gerade auch im Hinblick auf unser aktuelles Digitalisierungs- und Dokumentationsprojekt zur sowjetischen Nutzungsphase des Gerichts- und Haftortes Lindenstraße 54/55 sind originale Unterlagen von außerordentlicher Bedeutung, da für diesen Zeitraum weder zentrale Registraturunterlagen noch einstige sowjetische Geheimdienstunterlagen für die deutsche Forschung zugänglich sind. Die Überlieferung von Jochen Stern gibt einerseits Auskunft über das Vorgehen des Geheimdienstes und enthält wertvolle Informationen zu weiteren inhaftierten Personen des Gefängnisses Lindenstraße, andererseits ermöglicht sie, die Auswirkungen auf die unmittelbaren Betroffenen nachzuzeichnen.“

Neben den sowjetischen Unterlagen sind auch Jochen Sterns akribische Aufstellung aller für ihn zugänglichen Daten, Hinweise und Ergänzungen zu den einzelnen Mitgliedern der LO-Gruppe aus Frankfurt/Oder sowie die Liste der Namen der sowjetischen Untersuchungsoffiziere, die für den Fall relevant waren, für die aktuelle Forschung interessant. Derzeit ist ein Buch in Vorbereitung, das sich aus historischer Sicht mit der LO-Gruppe aus Frankfurt/Oder beschäftigt.

Im Rahmen der Eröffnung der Ausstellung „… denen mitzuwirken versagt war.“ Ostdeutsche Demokraten in der frühen Nachkriegszeit wird Jochen Stern am Mittwoch, 24. April, ab 18 Uhr in einem Zeitzeugengespräch von seinen Erfahrungen berichten. Die von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur konzipierte Schau steht unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Frank-Walter Steinmeier. Sie ist vom 25. April bis 18. August in der Gedenkstätte Lindenstraße zu sehen. Die Ausstellung erinnert anlässlich des 75. Jahrestages des Grundgesetztes am 23. Mai 2024 und der doppelten deutschen Staatsgründung an die mutigen Menschen, die sich nach 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone furchtlos für Freiheit und Demokratie einsetzten.

Aufgrund der begrenzten Platzmöglichkeiten ist eine Anmeldung zum Zeitzeugengespräch und zur Ausstellungseröffnung erforderlich unter: [info[at]gedenkstaette-lindenstrasse.de].

Bilder

Zeitzeugengespräch mit Jochen Stern in der Gedenkstätte Lindenstraße (c) Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße, Foto Anne Heinlein
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